Erstarrung
Ich such‘ im Schnee vergebens
Nach ihrer Tritte Spur,
Wo sie an meinem Arme
Durchstrich die grüne Flur.
Ich will den Boden küssen
Durchdringen Eis und Schnee
Mit meinen heißen Tränen
Bis ich die Erde seh.
Wo find‘ ich eine Blüte,
Wo find ich grünes Gras?
Die Blumen sind erstorben,
der Rasen sieht so blaß.
Soll denn kein Angedenken
Ich nehmen mit von hier?
Wenn meine Schmerzen schweigen,
Wer sagt mit dann von ihr?
Mein Herz ist wie erfroren,
Kalt starrt ihr Bild darin:
Schmilzt je das Herz mir wieder,
Fließt auch ihr Bild dahin.
Der Dessauer Dichter Wilhelm Müller veröffentlichte dieses Gedicht 1824 im zweiten Bändchen der „Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten“.
Franz Schubert, dessen 225.Geburtstag sich am 31. Januar jährt, vertonte 24 Gedichte im Liederzyklus „Winterreise“. Ian Bostridge schreibt in seinem Buch „Schuberts Winterreise“:
„Die eisige Erstarrung seines Herzens hat etwas an sich, worin der Wanderer Trost und Schrecken zugleich findet. Sie bringt den Stillstand, die Undurchdringbarkeit, die der Verlassene braucht, der Verlassene, der die Dahingeschiedene, die Tote nicht vergessen will, aber deshalb paradoxerweise am Schmerz des Verlustes festhalten muss.“ (Bostridge 2015, S.104)
und Stimme mit Beate von Hahn